Bundesverfassungsgericht gestaltet Jugendschutz nicht mit / Nachweis der Schädlichkeit von Pornografie für Minderjährige fehlt nach wie vor
22.10.2009, 08 Uhr - Huch Medien GmbH
(press1) - 22. Oktober 2009 - Das Bundesverfassungsgericht hat gestern per Beschluss Verfassungsbeschwerden des Mainzer Jugendschutz-Unternehmers Tobias Huch und der von ihm geführten Gesellschaft Resisto IT GmbH nicht zur Entscheidung angenommen (Aktenzeichen 1 BvR 710/05 und 1 BvR 1184/08). Beide Beschwerden betrafen das Verbot der Verbreitung so genannter einfacher Pornografie im Internet und die in diesem Zusammenhang zu stellenden Anforderungen an Altersverifikationsssoftware. Die Resisto IT GmbH bietet seit vielen Jahren Jugendschutzsoftware zur Altersverifikation an.
Zur Begründung seines Beschlusses führt das Gericht unter anderem aus, die Beschwerdeführer hätten nicht deutlich gemacht, weshalb sie die angegriffenen gesetzlichen Altersverifikationspflichten im Internet für ungeeignet hielten, Minderjährige vor "eventuellen" negativen Einflüssen einfacher Pornografie zu schützen. Die Behauptung der Beschwerdeführer, dass heute eine Gefährdung der Jugend durch pornografische Darstellungen ausgeschlossen werden könne oder sich der Gesetzgeber nicht mehr auf den unklaren Forschungsstand berufen dürfe, werde "nicht hinreichend begründet". Keiner der Verfassungsbeschwerden sei zu entnehmen, dass die Frage der Schädlichkeit von Pornografie für Minderjährige durch die einschlägigen Wissenschaften "in eindeutiger Weise beantwortet" worden wäre. Auch hätten die Beschwerdeführer nicht hinreichend vorgetragen, dass der Gesetzgeber sich nicht genügend um weitere Aufklärung des Forschungsstandes bemüht habe. Das Gericht verweist in diesem Zusammenhang auf das Gesetzgebungsverfahren zu dem heutigen § 184d StGB und auf Ergebnisse einer Bundestags-Enquete-Kommission von 1995.
Von Seiten des Beschwerdeführers Tobias Huch hieß es, es verwundere nicht, dass das Gericht sich nicht mit der fundamentalen Frage habe auseinandersetzen wollen, ob es überhaupt eine verfassungsrechtlich tragfähige Rechtfertigung für den in Deutschland praktizierten "Jugendschutz" gebe. "Mit seiner Entscheidung hat das Verfassungsgericht auf eine gute Möglichkeit verzichtet, den Jugendschutz in Deutschland mitzugestalten." Die faktischen Angaben in dem Beschluss des Gerichts seien nicht nachvollziehbar. In den Verfassungsbeschwerden sei ausführlich dargestellt worden, dass es heute rund 260 Millionen pornografischer Seiten im Internet gebe, auf die Minderjährige problemlos zugreifen können. Wenn der deutsche Gesetzgeber an deutsche Jugendschutz-Anbieter hohe Altersverifikationsanforderungen stelle, sei angesichts der Verhältnisse im Internet dieses Mittel zur Erreichung des vorgeblichen Zweckes "Jugendschutz" offensichtlich ungeeignet. Erst recht sei es deutschen Jugendschutz-Anbietern unzumutbar, sich an strenge gesetzliche Bestimmungen zu halten, die für keinen Anbieter im europäischen und außereuropäischen Ausland gälten. Huch verwies weiter darauf, dass in beiden Verfassungsbeschwerden wissenschaftliche Sachverständige benannt und Dokumente vorgelegt worden seien, aus denen sich ergebe, dass der Nachweis einer schädlichen Wirkung von Pornografie auf Minderjährige nicht zu erbringen sei. Umgekehrt habe sich im Zuge der vorbereitenden Recherchen ergeben, dass der Deutsche Bundestag entgegen den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts keinerlei Anstrengungen unternommen habe, die schädlichen Wirkungen von Pornografie für Minderjährige zu untersuchen oder gar nachzuweisen. Huch: "In einer der Verfassungsbeschwerden haben wir aus dem Gesetzgebungsverfahren zu § 184d StGB ausführlich zitiert. Und die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages hat sich 1995 in keiner Weise mit der Frage befasst, ob und inwieweit Pornografie Minderjährigen nachteilig ist. Wenn das Bundesverfassungsgericht den Bericht der Enquete-Kommission ausdrücklich anführt, dann muss ihm diese Tatsache auch bekannt gewesen sein. Was der Bundestag unterlassen hat, kann man nicht "substantiiert vortragen". Es ist schlicht und ergreifend nichts getan worden. Es gibt heute keinen ernst zu nehmenden Wissenschaftler, der einen wissenschaftlichen Beweis für die schädliche Wirkung von Pornografie auf Minderjährige besitzt. Die deutschen Jugendschutzanforderungen sind in diesem Licht betrachtet absurd unangemessen." Huch kündigte eine Veröffentlichung der Verfassungsbeschwerden an.
Aus Sicht von Tobias Huch besonders bedenklich ist Randzahl 7 des Beschlusses des Gerichts. Diese könnte so verstanden werden, dass zukünftig ein Bürger bei einem Eingriff in seine Grundrechte darlegen und beweisen muss, dass der Eingriff aufgrund von wissenschaftlichen Erkenntnissen "in eindeutiger Weise" sachlich ungerechtfertigt ist. Für den Schutz der Grundrechte sei dieser Denkansatz außerordentlich gefährlich, erklärte Huch. Bisher habe der Grundsatz gegolten, dass der Staat Grundrechtseingriffe rechtfertigen müsse und nicht aus Willkür oder Aberglauben Grundrechte beschneiden dürfe. Es sei zweifelhaft, ob das Bundesverfassungsgericht dieses Prinzip nun aufweichen wolle.
Tobias Huch will die öffentliche Diskussion über die Sinnhaftigkeit überspannter Jugendschutzanforderungen weiter fördern. Deshalb werde eine Beschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vorbereitet. Huch: "Die meisten europäischen Länder haben nicht so überzogene Jugendschutzbestimmungen wie Deutschland. In einigen ist die Verbreitung von Pornografie an Minderjährige im gesetzlichen Rahmen sogar ausdrücklich erlaubt. Wir haben daher die begründete Hoffnung, dass wir mit unseren Argumenten bei Richtern aus dem europäischen Ausland mehr Gehör finden werden."
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